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Die soziale Dimension der Architektur – Anton Schweighofer zum 95. Geburtstag

Objekt aus der Sammlung

Skizze mit der Aufschrift Situation Aufschließung und Grünzonen

Anton Schweighofer, SOS-Kinderdorf Neu-Delhi, Skizze mit den vier Hausclustern.
© Architekturzentrum Wien, Sammlung

„Mit der Architektur ist es wie mit der Sprache – man muss an den Ort gehen, um sie kennenzulernen.“ Anton Schweighofer

Die Geburt im türkischen Ayancık spielt wohl eine Rolle für das frühe interkulturelle Interesse Anton Schweighofers. Wie soziale Architektur in außereuropäischen Kontexten funktionieren kann, hat den österreichischen Architekten, an dessen 95. Geburtstag (17.11.1930–20.12.2019) wir erinnern möchten, intensiv beschäftigt. Sein umfangreiches OEuvre umfasst Bauten in Indien ebenso wie Planungen für die Arktis – „Räume für die Gemeinschaft“ nehmen dabei eine zentrale Rolle ein: Mit dem Kindergarten in St. Andrä-Wördern (1965– 1968) verweist Schweighofer auf die strukturalistische Raumkunst des Niederländers Aldo van Eyck, der ihm zeitlebens freundschaftlich verbunden ist. Die Stadt des Kindes (1971–1974) in Wien- Penzing gilt als herausragendes Beispiel einer sozialreformerischen Architektur, die leider nicht überlebt hat. In seinen späteren räumlichen Konzeptionen – dem Studentenheim am Erlachplatz (1994) sowie dem Geriatriezentrum des Kaiser-Franz- Josef-Spitals (1996–2003), beide in Wien-Favoriten – forciert Schweighofer den Dialog zwischen dem Individuum und dem Kollektiv.

Nachdem er Mitte der 1960er- Jahre von SOS International als beratender Architekt für die außereuropäischen Kinderdorfprojekte herangezogen wird, münden die ersten Planungen für den Libanon, für den Iran und für Korea kaum in Umsetzungen. Genau 20 Jahre nach der Gründung des ersten SOS-Kinderdorfes im tirolerischen Imst kann Schweighofer schließlich 1964–1969 in Indien eine Anlage mit 20 Familienhäusern samt Gemeinschaftseinrichtungen wie Theater, Kindergarten, Lehrwerkstatt und Schwimmbecken realisieren. Die Bauarbeiter sind Wanderarbeiter aus Rajasthan, die in der 20 km südlich von Neu-Delhi gelegenen steinigen Landschaft zunächst ein provisorisches Dorf für ihre Familien errichten. Am eigentlichen Kinderdorf bauen sie dann mit lokalem Baumaterial, v. a. Stein, vier Jahre lang. Es entstehen vier Cluster von jeweils fünf Häusern, die sich um einen Hof mit schattenspendendem Baum und einer Spielgrube gruppieren. Die eingeschossigen Häuser – in jedem sind neun Kinder und eine Kinderdorfmutter untergebracht – sowie das verbindende Wegenetz sind wie selbstverständlich in den felsigen Grund gesetzt. Sie erhalten durch einen aufgesetzten kleinen Raum auf der Dachterrasse eine vertikale Komponente. Architektonisch interessant ist auch der Kindergarten der Anlage: Auf kreuzförmigem Grundriss mit kleinen aus Steinen gemauerten Eckräumen ist dieser durch die beidseitige Verglasung großzügig nach außen geöffnet und mit einem abgehobenen, auskragenden Dach versehen.

Ursprünglich als Teil einer größeren Siedlung („Greenfield“) gedacht, bleibt das Kinderdorf, das seit fast 55 Jahren Kindern einen hoffnungsfroheren Start ins Leben ermöglicht, ein Solitär in der steinernen Landschaft. Das Projekt wird ab Frühjahr 2026 in der Ausstellung „Global Neutral“ im Az W zu sehen sein.