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Das Ende des Raumes ist der Anfang der Architektur. Zum 300. Todestag des barocken Stararchitekten

Objekt aus der Sammlung

Kirch mit Kuppel und 2 höhen Säulen links und rechts

Johann Bernhard Fischer von Erlach, Joseph Emanuel Fischer von Erlach, Karlskirche, Wien 4, 1715–1739
© Architekturzentrum Wien, Sammlung, Foto: Margherita Spiluttini

„Wenn man von der Lust an der Raumgestalt der Bauwerke des Barocks ausgeht – was für ein Wahnsinn, tonnenschwere Kuppeln zu bauen, um sie dann mit Himmelsmalereien zum Entschwinden zu bringen! – dann wird sichtbar, dass die Gestalt des komplexen Raumes und nicht die simplifizierte Box eine besondere Fähigkeit der österreichischen Architekten darstellt.“ (Wolf D. Prix)

weiß-farbenes Architekturmodell auf weißem Untergrund

Coop Himmelb(l)au (Wolf D. Prix, Helmut Swiczinsky), Dachausbau Falkestraße, Wien 1, 1983, 1987–1988, Präsentationsmodell
© Architekturzentrum Wien, Sammlung

Eine der imposantesten barocken Kuppeln Österreichs gehört zur Wiener Karlskirche, dem Hauptwerk Johann Bernhard Fischer von Erlachs (1656–1723). 1715 hatte er den von Kaiser Karl VI. zum Dank für das Ende der letzten großen Pestepidemie in Wien ausgeschriebenen Architektenwettbewerb gewonnen. Für seinen Entwurf zog er eine Reihe von historischen Vorbildern aus unterschiedlichen Epochen heran. Während die den Eingang flankierenden Säulen an die berühmte Trajanssäule in Rom erinnern, ist der Eingang selbst einem Tempelportikus nachempfunden. Wolf D. Prix meint: „Fischer von Erlach war ein hemmungsloser Kopierer.“ Was hier fast despektierlich klingt, ist Ausdruck einer großen Bewunderung.

„Auf jeden Fall ist die barocke Architektur als Vorbild für starke Architektur zu sehen, denn sie zählt nicht die additiven Funktionen, sondern ist Ausdruck für eine fließende Raumgestaltung“, so Prix über die architektonische Tradition, die er in Österreich bei einigen bekannten Architekten fortgeführt sieht: bei Friedrich Kiesler beispielsweise, aber auch bei Hans Hollein, Walter Pichler, Raimund Abraham und Günther Domenig. Und natürlich auch im eigenen Œuvre. Die bauliche Erweiterung einer Rechtsanwaltskanzlei um einen Sitzungssaal und weitere Büroräume im Dachgeschoss eines Ringstraßenpalais (Falkestraße 6, Wien 1, 1983, 1987–1988) bedeutete für Coop Himmel- b(l)au den internationalen Durchbruch. Wesentlich für den Entwurf war die provokante Ecklösung einer gläsernen Konstruktion – eine Neuinterpretation der Kuppel, in der sich gleichzeitig „die Lust am Zelebrieren und an der Neudefinition des Raumes“ manifestiert. Eine Charakteristik, die die österreichische Architektur, laut Wolf D. Prix, seit Fischer von Erlach über Jahrhunderte auszeichnet und unverwechselbar macht: „Fischer von Erlach war ein starker Architekt. Er wusste, wie er Gebäude monumental in die (Stadt) Landschaft setzt.“

desolate Außenfassade mit dickem Rohr außen verlaufend

Johann Bernhard Fischer von Erlach, Joseph Emanuel Fischer von Erlach, Ehem. Hofstallungen vor dem Umbau, heute Museums- Quartier, Wien 7, 1721–1723
© Architekturzentrum Wien, Sammlung, Foto: Margherita Spiluttini, 1996

In unserer neuen Schausammlung treffen die beiden Architekten aufeinander: Ein Foto aus dem umfangreichen Archiv von Margherita Spiluttini zeigt die von Fischer von Erlach errichteten Hofstallungen vor dem Umbau zum heutigen MuseumsQuartier. Ein Modell des Dachausbaus in der Falkestraße von CoopHimmelb(l)au (Wolf D. Prix, Helmut Swiczinsky) verdeutlicht deren Architekturauffassung, die das Ende des Raumes als Anfang der Architektur begreift.

 

Quellen:
Martina Kandeler-Fritsch,Thomas Kramer (Hg.), Wolf D. Prix, Coop Himmelb(l)au. Get off my cloud, Texte 1968–2005, Ostfildern 2005.
Wolf D. Prix, Thomas Kramer (Hg.), Rock over Barock. Young and Beautiful: 7+2. Prinz Eisenbeton 6, Wien/New York 2006, 6.
Alle Aussagen von Wolf D. Prix stammen aus einem für diesen Beitrag geführten Interview.