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Architektur für den Frieden. Der Völkerbundpalast in Genf

Objekt aus der Sammlung

Modell mit Bäumchen und Gewässer

Richard Neutra, Rudolph M. Schindler, Wettbewerb Völkerbundpalast, Genf, CH, 1926; Situationsmodell (Rekonstruktion 1994, Adolph Stiller, Michael Karassowitsch)
© Architekturzentrum Wien

„Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines andern Staats gewalttätig einmischen.“ Fünfter Präliminarartikel aus Immanuel Kants Schrift „Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf“, 1795.

Der Philosoph Immanuel Kant präsentierte bereits 1795 in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ die Idee einer „durchgängig friedlichen Gemeinschaft der Völker“. Ausgelöst durch die Schrecken des Ersten Weltkrieges wurde auf der Friedenskonferenz von Versailles im April 1919 die Satzung des neuen sogenannten Völkerbundes angenommen. Gedacht war an ein Bündnis, das in Konfliktfällen vermitteln und die Einhaltung von Friedensverträgen überwachen sollte. Die anfänglich 32 Mitgliedsstaaten erklärten, auf Krieg als politisches Mittel zu verzichten. 1926 wurde ein internationaler Wettbewerb ausgeschrieben, an dem 377 Architekten teilnahmen. Aus Österreich gingen u.a. Beiträge von Clemens Holzmeister, Oskar Strnad, Josef Frank und Lois Welzenbacher ein. Auch die beiden in die USA ausgewanderten Österreicher Richard Neutra und Rudolph M. Schindler reichten gemeinsam ein Projekt ein. In der „Schweizerischen Bauzeitung“ erschien im Juni 1926 der Aufruf, das Bauwerk soll mit der „Reinheit seines Stils […] die friedliche Größe des 20. Jahrhunderts versinnbildlichen“. Schlussendlich wurde nach einem jahrelangen, komplizierten Prozedere der Entscheidungsfindung die monumentale Anlage eines fünfköpfigen zusammengewürfelten Architektenteams (Henri-Paul Nénot, Julien Flegenheimer, Carlo Broggi, Giuseppe Vago und Camille Lefèvre) realisiert. Die Gestaltung bildet den Wunsch nach einer dem 20. Jahrhundert und der völlig neuen Bauaufgabe entsprechenden modernen Form in keinster Weise ab. Der neoklassizistische, konservative Bau fand demzufolge auch wenig Zustimmung.

Hingegen hätte sich das von den beiden Austro-Amerikanern Neutra und Schindler eingereichte Projekt gänzlich von historisierender Formensprache gelöst, wie das Modell in der Sammlung des Az W deutlich zeigt. Zentrale Idee ihres Entwurfs war das über den Genfer See hinausschwebende, teils aufgeständerte Auditorium, an dessen Hofseite ein transparenter sechsgeschossiger Foyertrakt anschloss. Das Modell zeigt ebenso die im Süden angedockten Restaurants und den Brückenbau mit den Büroräumen des Präsidenten, der das Foyer mit dem langgezogenen Sekretariatsbau verbindet. Konstruktiv war ein Stahlbetonskelett mit großzügigen Glasflächen geplant. Die in Zürich erscheinende Zeitschrift „information“ mokierte sich in ihrer Dezemberausgabe 1932 über die Skurrilität, dass das ebenfalls technisch ausgereifte Eisenbetonskelett des realisierten Baues anschließend als „Renaissancebau“ maskiert wurde.

Nach einer Explosion der Baukosten konnte der Völkerbundpalast erst im November 1933 fertiggestellt und nach und nach bis 1938 bezogen werden. Am 19. März 1938 protestierte im übrigen Isidro Fabela, Vertreter Mexikos im Völkerbund, als Einziger gegen den „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland. 1946 wurde der Völkerbund aufgelöst und die Nachfolgeorganisation der Vereinten Nationen (UN) bezog den Bau am Genfer See.