Das Az W trauert um Karl Odorizzi

1931–2024

schwarz-weiß Foto mit älterem Mann der ein Bild malt

Karl Odorizzi
© Pia Odorizzi

„Was in den Experimenten und Manifesten der jungen Spätsechziger wie Hausrucker und Himmelblau in die Zukunft hinausgerufen wird, gewinnt bei Odorizzi Gestalt und Basis, ohne den Charakter des Experimentellen zu verlassen.“ (Günther Feuerstein)

Der gebürtige Niederösterreicher Karl Odorizzi (1931–2024) war ein Universaltalent. Sein Architekturstudium an der TU Graz ergänzte er durch Studien der Grafik und Malerei, des Gesangs und der Dramaturgie sowie der Bühnengestaltung. Ab 1958 führte er ein Architekturbüro in Wels und arbeitete die meiste Zeit alleine, was bei seinem umfangreichen Œuvre mit wegweisenden Schulbauten, Kirchenbauten und einer großen Zahl von Einfamilienhäusern erstaunt. Karl Odorizzi zählte zu den Protagonist*innen der oberösterreichischen Nachkriegsarchitektur, die es noch zu entdecken gilt. Neben den dominierenden Grazern, Vorarlbergern und den zuletzt wiederentdeckten Burgenländern fiel der Blick noch nicht allzu intensiv auf die oberösterreichische Architektur jener Zeit.

Die Pfarrkirche in Wels-Lichtenegg (1962–1966) bildete einen frühen Höhepunkt in Odorizzis Beschäftigung mit dem damals boomenden Baustoff Beton. Über einem quadratischen Grundriss von 50 x 50 Metern spannt sich ein säulenloses Zelt aus Beton auf. Die 24 Meter hohe Spitze der Pyramide lässt ebenso wie das über einem Sockel liegende Fensterband aus farbigen Glassteinen Licht einfallen. Mit den Um- und Anbauten im Bildungshaus Schloss Puchberg (1960/61 und 1972/73) zeigt sich sein kongenialer und gleichzeitig kompromissloser Umgang mit Alt und Neu.

Odorizzi zeichnete darüber hinaus für eine Reihe von wegweisenden Schulbauten verantwortlich, die in Oberösterreich nach dem Zweiten Weltkrieg neben dem Wohnbau zur wichtigsten Bauaufgabe zählten. Sein Beitrag zum Aufbruch in die Bildungsgesellschaft war mannigfaltig: Als Hallenschule realisiert lässt sich der neue Typus im Schulbau besonders gut an der Volksschule in Niederthalheim bei Wels (1966-1969) nachvollziehen. Von 1971–1975 errichtete Odorizzi mit dem Schulzentrum Harter Plateau in Leonding eine durch räumliche Verflechtungen erzielte „pädagogische Großmaschine“, die als exemplarisches Bauwerk für die Entwicklung in Richtung Schulzentrum gilt.

Während viele Architekten dieser Zeit allein im Beton die Zukunft sahen, experimentierte Odorizzi parallel dazu mit glasfaserverstärkten Kunststoffen und wurde zum Pionier auf diesem Gebiet. Ausgehend vom Konzept der „Raum-Zeit“, die von einer notwendigen Veränderung der Räume im Laufe der Zeit ausgeht, sah Odorizzi in Kunststoffelementen maximal flexible Gestaltungsmöglichkeiten und großes Potential aufgrund des geringen Materialgewichts und der Möglichkeit der Vorfertigung. Ein frühes Beispiel dafür ist die Geflügelzuchtanlage „Haus des Huhnes“ in Marchtrenk (1965–1967), wo aufgrund der hygienischen Notwendigkeiten des täglichen Abwaschens und Desinfizierens zweischalige Wandelemente aus glasfaserverstärktem Polyester zur Anwendung kamen. Der Bau wurde – auch farblich – von Odorizzis damaligem Auto, einem Citroën DS 19, inspiriert, wie eine ikonische Fotografie aus der Zeit beweist.

Aus der starken Beschäftigung mit Raum und mit chemischen Werkstoffen ergab sich ein Lehrauftrag an der Technischen Fakultät der Universität Innsbruck, wo Karl Odorizzi von 1976 bis 1986 unterrichtete. In seinem eigenen Haus mit integriertem Atelier in Wels (1963) manifestiert sich ein Wohnhabitat, das mittels eines fließenden Raumes Blickbeziehungen zwischen den Räumen und der Natur nicht nur ermöglicht, sondern geradezu sucht. Im Weiteren zeigt sich in der Differenziertheit der Materialoberflächen eine Könnerschaft von Odorizzi, die es noch zu entdecken gilt. Nun ist er 93-jährig am 24.04. in Wels verstorben. Sein Archiv ist seit 2022 Teil der umfangreichen Sammlung des Architekturzentrum Wien.