Das Az W trauert um Gunther Wawrik

07.10.1930–09.01.2023

älterer Mann vor einer rot-orangen Wand mit runder Brille

Gunther Wawrik
© Architekturzentrum Wien, Foto: Margherita Spiluttini

Gunther Wawrik hielt aus Anlass seines 80. Geburtstages 2010 im Architekturzentrum Wien einen Vortrag mit dem Titel „Architektur und Vergnügen“. Der einstündige Rückblick geriet zu einer lebendigen Reise durch sein Leben und Werk und war vor allem eines: höchst vergnüglich. Deutlich wurden dabei zwei Dinge: Zum einen sein Sinn für Humor – etwa als er erzählte, dass „das Vergnügen im Zusammenhang mit Architektur nur in homöopathischen Dosen festzustellen [ist], somit vielleicht ein Tropfen Vergnügen auf einen Krug Nichtvergnügen oder einen Becher voll Missvergnügen.“ Zum anderen sein Gespür für Architektur, für die Bedürfnisse, die hinter Architektur stehen und – quasi als sein Lebensthema – für die Bricolage, die das „Denken eines Bastlers hervorbringt, ein Denken, bei dem auch Punkte offen bleiben“, wie Hermann Czech Wawriks Entwurfsmethode pointiert beschrieb. Wawriks Werk ist seit 2011 ein wichtiger Bestandteil der Sammlung des Az W.

1930 in der Stadt Salzburg geboren, wuchs Gunther Wawrik in einem Haus am Fuß des Gaisbergs auf. Der Blick über das damals noch weitgehend unbebaute Salzburger Becken blieb für Wawrik zeitlebens prägend. Ein Gespräch mit dem Architekten des Elternhauses führte bei dem 16-Jährigen zu dem Wunsch, ebenfalls die Architektenlaufbahn einzuschlagen. Nach Abschluss des Realgymnasiums folgten ein Praxisjahr als Zimmermann und Maurer, ein Architekturstudium an der Technischen Hochschule Wien 1949–1956 und die Teilnahme an der Internationalen Sommerakademie für bildende Kunst in Salzburg. Nach dem Studium gründete Gunther Wawrik gemeinsam mit Hans Puchhammer ein Architekturbüro, das bis 1980 bestand und mit der Terrassensiedlung „Goldtruhe“ in Brunn am Gebirge (1964–1966) für den ersten vertikal verdichteten Wohnbau verantwortlich zeichnete. Das Bürohaus Grothusen im 14. Wiener Bezirk konnte nach nur neun Monaten Bauzeit 1972 fertiggestellt werden. In ihm sind wichtige Impulse der Erneuerung bereits angelegt.

Ab 1980 unterhielt Wawrik in Wien sein eigenes Architekturbüro. Eine besonders wichtige Rolle spielte er aber auch als Lehrender (1985–1996 Professor an der Fachhochschule in München, 1998–1999 Gastprofessor ebenda). Seine Auffassung von Lehre beschrieb er poetisch: „Es geht darum, Lust am Lernen und Arbeiten zu verbreiten, Grillen mit einem Grashalm aus ihrem Loch herauszukitzeln und zum Zirpen zu bringen.“

2020 erschien sein Buch „Die Bergstadt. Eine Fiktion“, in dem er anhand von hypothetischen Vorschlägen, die im krassen Widerspruch zur gängigen Baupraxis stehen, in Texten, Skizzen und Plandarstellungen seine Überlegungen für eine Stadt der Zukunft vorstellte. Gerade jetzt ist diese städtebauliche Fiktion auch in einer Ausstellung (bis 20.01.2023 in der Salzburger Initiative Architektur) zu sehen.

„Ich gehöre zu einer Minderheit, die glaubt, dass eine Stadt eine aus der Topografie entwickelte Eigenart hat und damit auch aus ihrer Topografie heraus räumlich entwickelt werden muss. Städtebauliche Fehler können im Gegensatz zu architektonischen Fehlern nur schwer korrigiert werden.“
1999 vollendete Wawrik eines seiner Hauptwerke, die Aussegnungshalle im bayerischen Gräfelfing. Der inszenierte Raum für Abschied und Trauer bildet gemeinsam mit vier Aufbahrungshäusern, einem Zwischenhof, einem Arkadengang und zwei Brücken über einen Seerosenteich ein bestechendes Ensemble. Nach der Trauerfeier öffnen sich die Türen ins Freie und der Tote wird – wie in der Antike – über das Wasser in die Natur, ins Licht hinausgeführt. In seinem Vortrag von 2010 hielt Gunther Wawrik fest: „Man ist schnell tot und hat später keine Probleme mit diesem Umstand, aber der Umgang mit dem Tod der Anderen ist keine leichte Sache und ist quälend und mit Schmerz verbunden.“

Die österreichische Architektur verliert mit Gunther Wawrik nicht nur einen herausragenden Vertreter, sondern auch einen wunderbaren Menschen.